Strenggenommen gehört ein Blog über das Leben und den mysteriösen Tod der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt in ein Forum über die 50er Jahre. Da ihr Name und ihr Schicksal jedoch bis heute im kollektiven Gedächtnis vieler meiner Landsleute verblieben ist, soll dies auch in diesem Forum nicht unerwähnt bleiben. Zumal der ungelöste "Fall Nitribitt" die Medien und auch die Gerichte noch bis in die frühen 60er Jahre beschäftigte und nach dem Ableben der meisten Beteiligten in den letzten Jahren durch wiederaufgefundene Akten um neue Erkenntnisse bereichert wurde.
Der Fall der 1957 ermordeten Edelprostituierten entwickelte sich in den späten Wirtschaftswunderjahren zum ersten großen Gesellschaftsskandal der damals noch jungen Bundesrepublik. Sehr zeitnah verfilmte Erich Kuby mit dem Spielfilm "Das Mädchen Rosemarie" und Nadja Tiller in der Hauptrolle das Leben und Sterben von Frau Nitribitt. Aus heutiger Sicht gestaltet sich das Werk m.E. etwas sperrig, da Kuby bemüht war, eine Melange aus Gesellschaftssatire, Moritat und Lebensbeschreibung der Prostituierten zu liefern, was ihm meines Erachtens nur teilweise gelungen ist. Dennoch lockte die filmische Auseinandersetzung mit einem brisanten zeitgenössischen Thema bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte in den späten 50ern über acht Millionen Zuschauer in die Kinos.
Von wem Nitribitt getötet wurde, konnte nie zweifelsfrei festgestellt werden. Aufgrund schlampigen Umgangs mit dem Beweismaterial konnte nicht einmal ermittelt werden, wann ihr Tod eintrat. Durch den Leichengeruch in den überheizten Räumen rissen unerfahrene Kriminalbeamte zunächst alle Wohnungsfenster auf, so daß mit den Methoden der damaligen Zeit der genaue Zeitpunkt des Ablebens nicht mehr festgestellt werden konnte.
2013 tauchten eher durch Zufall überraschend polizeiliche Vernehmungsprotokolle und Beweisstücke wieder auf, die über Jahrzehnte als verschollen gegolten hatten. Die Papiere lagern heute im hessischen Staatsarchiv in Wiesbaden, und investigative Journalisten stellten überrascht fest, daß es damals durchaus eine belastbare Täterspur gegeben hatte, die in eine der führenden deutschen Industriellenfamilien wies: die der Stahlbarone von Bohlen und Halbach (Krupp).
Am 1.11.1957 wurde die Prostituierte Rosemarie N. in dem Appartmenthaus Stiftsstraße 36 in der Frankfurter City ermordet aufgefunden. Festgestellt werden konnte, daß der Tod durch Erdrosseln eintrat. Auch eine tiefe Platzwunde am Hinterkopf wies auf massive körperliche Gewalteinwirkung hin. Der Täter hatte darüber hinaus die Wohnungsheizung auf über dreißig Grad hochgefahren, um den Verwesungsvorgang des Torsos zu beschleunigen und entsprechende Hinweise zu verschleiern.
Rosemarie Nitribitt wurde 1933 in Düsseldorf geboren und stammte aus äußerst prekären familiären Verhältnissen. Der unehelichen Geburt und einer Vergewaltigung mit bereits zwölf Jahren schlossen sich u.a. diverse Heimaufenthalte an. Diesem Dasein wollte die junge Rosemarie entrinnen und fand das für sie "richtige" Leben als Prostituierte im teilweise noch kriegszerstörten Frankfurt/ M. der Nachkriegsjahre. Sie nahm "Benimmunterricht" und lernte Fremdsprachen wie Englisch und Französisch, um ihre Profession auch in bessergestellten Kreisen ausüben zu können. Zu ihrem späteren Markenzeichen wurde ein Mercedes 190 SL Cabrio in schwarz mit roter Innenausstattung, mit dem sie Kunden animierte und aquirierte. Mit derartigen Attributen versehen, wandelte sich die eher mäßig attraktiv erscheinende Rosemarie Nitribitt zur Edelprostituierten.
Viele ihrer Kunden stammten aus dem bundesdeutschen Geldadel der Wirtschaftswunderjahre, so z.B. der Milliardär Harald Quandt, die Brüder Gunter und Ernst Sachs, Rennfahrer Huschke von Hanstein und auch der spätere Bundeskanzler Kurt- Georg Kiesinger. Eine Ausnahme stellte Harald von Bohlen und Halbach dar, der erst 1955 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, als Miterbe des Krupp- Konzerns galt und für ca. ein halbes Jahr zum ständigen Geliebten der Nitribitt wurde.
Vieles deutet angesichts der heute verfügbaren Quellen darauf hin, daß sich die Edelprostituierte die sehr gute Partie dauerhaft sichern wollte. Jedoch ergeben die Akten, daß von Bohlen und Halbach sowohl die Mitnahme seiner Geliebten auf Dienstreisen verweigerte als sich auch einer Eheschließung mit seiner nicht standesgemäßen Freundin Rosemarie kategorisch verschloß: "Wenn überhaupt, dann auf dem Mond !"
In der polizeilichen Vernehmung gab von Bohlen und Halbach, der damals als "der reichste Junggeselle Deutschlands" galt, durchaus regelmäßige Kontakte mit Rosemarie Nitribitt zu, behauptete jedoch gleichzeitig, zur fraglichen Tatzeit in Essen gewesen zu sein. Jedoch deuteten Fingerabdrücke an angebrochenen Weinflaschen sowie Spermareste darauf hin, daß von Bohlen und Halbach durchaus der letzte Besucher der Nitribitt vor Eintreten ihres Todes gewesen sein konnte. Gestützt wurde Bohlen´s Alibiaussage dagegen durch schriftliche Bestätigungen seines Essener Hauspersonals. Daraufhin wurde diese Spur seitens der ermittelnden Frankfurter Kriminalpolizei überraschend schnell fallengelassen.
Aus dem ungelösten Mordfall wurde in den Folgejahren die Gesellschaftsgeschichte vom "Mädchen Rosemarie", die Zeitungen, Illustrierte, Frauenmagazine und die Filmindustrie ausgiebig beschäftigte, während Polizei und Justiz die Identitäten der Kunden Nitribitts, die über ihre Freier penibel Buch führte, solange es ging schützten. Darunter natürlich auch die des Harald von Bohlen und Halbach.
Harald von Bohlen und Halbach heiratete im Jahre 1960 standesgemäß eine Wuppertaler Industriellentochter und verstarb 1983 im Alter von 67 Jahren. Rosemarie Nitribitts Leichnam wurde nach Düsseldorf überführt und auf dem dortigen Nordfriedhof bestattet. Ihr Grab wurde 2008 noch einmal geöffnet, als man ihren Schädel hinzufügte, der sich bis dahin im Frankfurter Kriminalmuseum befunden hatte und dort als Anschauungsmaterial für den dortigen Kripo- Nachwuchs gedient hatte.
Interessante Doku zum Thema:
www.youtube.com/watch?v=GB04_1ir_LY