Ich kann mich dunkel erinnern, daß wir um 1970/71 in unserer Jungens-Realschule mit einem unserer Lehrer mal über Sinn und Zweck langer Haare sprachen. Der "Aufhänger" war wohl der uns in wenigen Jahren zu erwartende Wehrdienst. Die Argumentation unseres Steißtrommlers war technischer Natur, z.B. die Unfallgefahr beim Umgang mit technischem Gerät. Wir hielten damals mit dem unvermeidlichen Haarnetz dagegen.
Aus heutiger Sicht wirken diese damaligen "Glaubenskriege" ein wenig lächerlich. Wir haben sie jedoch seinerzeit mit heiligem Eifer verfochten

. Berücksichtigen muß man auch, daß die Mehrheit des Lehrkörpers (bis Anfang der 70er alles gestandene Herren und meist Familienväter) aktive Kriegsteilnehmer waren, in einem Fall mit Beinprothese, und von daher einen ganz anderen Erfahrungshorizont mitbrachten als wir "dummen" Jungs der damaligen Zeit.
Damals (zwischen 1967 und 1973) wurden wir ganz selbstverständlich vom Lehrkörper noch mit Nachnamen und natürlich mit "Du" angesprochen. Erst in der folgenden Gymmi- Oberstufe änderte sich das.
Allgemein war der Umgangston nach meiner Erinnerung in den 60er/ 70er Jahren oft noch rauher, teils geradezu rüde. Das hatte sehr viel mit dem Lebensschicksal unserer damaligen Eltern- und Großelterngeneration zu tun. Zwei Weltkriege, dazu zwei Geldentwertungen, die Weltwirtschaftskrise sowie Flucht und Vertreibung haben viele Angehörige dieser beiden Generationen sehr oft in den existenziellen Abgrund blicken lassen.
Wer überlebte, brachte oft einen Fundus an Lebenserfahrungen in die Gesellschaft ein, von dem wir Nachgeborenen nur träumen können. Verbunden war damit auch eine häufige Desillusionierung bis hin zum Menschentyp des "Misanthropen", dem wir damals auch gelegentlich begegneten.
Bei meinen Großeltern väterlicherseits war meinerseits höfliche Zurückhaltung angesagt. Bei etwas "Übermut" wurde ich insbesondere von der Großmutter sofort barsch zurechtgewiesen.
Im Straßenverkehr wurde i.A. zügiges Fahren eingefordert. Wer sich im Ortsverkehr deutlich langsamer als 50 km/h bewegte, z.B. bei der Straßensuche, wurde oft gnadenlos angehupt und mit Sprüchen bedacht ("Du hast wohl Deinen Führerschein bei Neckermann gemacht !").
Kleine Verfehlungen von uns Kids der 60er wurden relativ schnell geahndet. So wurden wir oft aus den öfftl. Grünanlagen gescheucht und bekamen im Einzelfall von fremden Erwachsenen auch mal eine Maulschelle. Wobei wir damals schon wußten, daß das gesetzlich nicht statthaft war und diesen Sachverhalt auch gelegentlich zaghaft äußerten.
In technisch- handwerklichen Erwerbszweigen herrschte ein rauh- burschikoser Ton. Der Arbeitgeber meines Vaters kommentierte die Reparatur eines verbeulten Kotflügels nebst abschließender Lackierung mit dem Satz:" Das ganze nochmal. Da kann ich ja noch Deckung drin nehmen !". Der Mann hatte entsprechende "Branchenerfahrungen".
Geändert hat sich dieser Ton m.E. erst im Laufe der 80er, als eine andere Generation nachgewachsen war, die in weitgehendem Frieden und relativem Wohlstand großgeworden ist.