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    Samstag, 14. Oktober 2023, 15:45

    Die Pariser Verträge und die Gründung der Bundeswehr 1955

    Nachdem die Projektierung der supranationalen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) letztendlich im August 1954 am französischen Parlamentsveto gescheitert war, kam es innerhalb kürzester Zeit auf Drängen der Briten und Amerikaner zu einer alternativen Lösung, die sich für die Bundesrepublik letztendlich als günstiger erweisen sollte. Auf der Londoner Neunmächte- Konferenz im September/ Oktober 1954 wurden Vereinbarungen ausgearbeitet, die in den darauffolgenden Pariser Konferenzen zu mehreren, für die weitere Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wichtigen Entscheidungen führte. Im sogenannten "Deutschlandvertrag" wurde das bisherige Besatzungsregime für die Bundesrepublik aufgehoben, abgesehen von wichtigen Vorbehalten hinsichtlich der Notstandsrechte, Berlins und Deutschland als Ganzem erhielt sie ihre staatliche Souveränität. Darüber hinaus luden die vierzehn Mitgliedsstaaten der NATO die Bundesrepublik zum Eintritt in das atlantische Bündnissystem ein, gleichzeitig wurde sie in die neugegründete Westeuropäische Union (WEU) integriert, die aus dem Brüsseler Pakt von 1948 hervorgegangen war und nun eine neue Funktion erhielt, nämlich die Deutschen zu kontrollieren. Ein spezielles Kontrollamt der WEU überwachte die westdeutschen Rüstungsbeschränkungen, denn auf die Produktion von atomaren, chemischen und biologischen Waffen mußte die Bundesrepublik verzichten.
    Schließlich unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Ministerpräsident Pierre Mendès- France als Bestandteil der Pariser Verträge auch das sogenannte "Saarstatut", das zwar ein weitgehend autonomes, jedoch mit Frankreich durch eine Währungs- und Zollunion verbundenes Saarland vorsah. Drei Monate nach dem Inkrafttreten sollte die saarländische Bevölkerung dann über dieses Statut abstimmen und sich zur allgemeinen Überraschung anders entscheiden, als Frankreich angenommen hatte.
    Insgesamt bedeuteten die Pariser Verträge, die am 5. Mai 1955 in Kraft traten, zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch einen Friedensvertrag der Westmächte mit dem westlichen Deutschland. Binnen Zehnjahresfrist war die Bundesrepublik somit von einem besiegten Feindstaat zu einem Bündnispartner geworden und sollte im Rahmen der NATO zum wichtigsten Verbündeten der USA in Europa aufsteigen. Die Kehrseite der Medaille war, daß sich durch die fast gleichzeitige Einbindung der DDR in den Warschauer Pakt die Blockbildung verfestigte und die deutsche Einheit somit bis auf weiteres in weite Ferne rückte.
    Gegen diese Entwicklung formierte sich eine Protestbewegung, die im wesentlichen von der SPD, den Gewerkschaften und einem Teil des protestantischen Bürgertums getragen wurde. So wurde im Januar 1955 ein "Deutsches Manifest" verabschiedet, in dem der SPD- Vorsitzende Erich Ollenhauer, der DGB- Vorsitzende Walter Freitag und weitere prominente Persönlichkeiten Viermächte- Verhandlungen über eine deutsche Wiedervereinigung gegenüber der Einbindung in den Westen als vorrangig erklärten. Diese Protestbewegung gewann insofern zunächst an Gewicht, da sie sich mit der "Ohne mich"- Bewegung der Wehrbeitragsgegner verband. Bei einer militärischen Westintegration der Bundesrepublik wäre der Zustand, so Martin Niemöller, einer katholisch dominierten Bundesregierung und des Verlusts der ehemals protestantischen Kerngebiete Mitteldeutschlands an die Russen kaum noch revidierbar und eine Wiedervereinigung in weite Ferne gerückt.
    Daß diese Protestbewegung dennoch rasch im Sande verlief, hatte mehrere Ursachen. In der SPD hatte es von Anfang an Zweifel am Erfolg einer derartigen außerparlamentarischen Opposition gegeben, und die Gewerkschaften wollten die mittlerweile deutlich in Gang gekommene wirtschaftliche Prosperität Westdeutschlands nicht wegen außenpolitischer Streitereien aufs Spiel setzen. Schließlich zeigte sich auch, wie schwach die "Ohne mich"- Bewegung in organisatorischer Hinsicht war. Abgesehen von einigen größeren Demonstrationen, reagierte die breite Masse der Westdeutschen eher desinteressiert auf die Aktionen der Partei- und Verbandsführer sowie der wortführenden Professoren und Pastoren. Einmal mehr zeigte sich an diesen Ereignissen, daß eine Westbindung dem Interesse der überwältigenden Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung jener Jahre durchaus entgegenkam. Im Bundestag schließlich fanden die Pariser Verträge eine hohe Mehrheit von 324 zu 151 Stimmen.

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    Sonntag, 15. Oktober 2023, 15:41

    Über die Gründungsphase der Bundeswehr

    Am 12. November 1955 nahmen in einer Kraftzeughalle der Bonner Ermekeilkaserne die ersten 101 Soldaten der Bundeswehr ihre Ernennungsurkunde entgegen: die beiden Dreisterne- Generale Adolf Heusinger und Hans Speidel, der 1957 Oberbefehlshaber der NATO- Streitkräfte in Mitteleuropa werden sollte, außerdem 18 Oberstleutnante, 30 Majore, 40 Hauptleute, 5 Oberleutnante, 1 Stabsfeldwebel und 5 Oberfeldwebel, und am 2. Januar 1956 rückten in Andernach, Nörvenich und Wilhelmshaven die ersten Freiwilligen der Bundeswehr ein. Gleichzeitig kehrten die letzten deutschen Kriegsgefangenen, 9628 ausgemergelte Männer, aus der Sowjetunion heim, gefolgt von mehr als 20.000 Zivilinternierten, die jahrelang in sowjetischen Lagern zugebracht hatten. Diese Rückkehr war ein Erfolg der Moskaureise, die Bundeskanzler Konrad Adenauer im September 1955 auf Einladung der Sowjetunion mit einer großen Delegation angetreten hatte. Damit endete ein Drama und endeten zahllose individuelle Tragödien, denn die Kriegsgefangenenfrage beherrschte die westdeutsche Öffentlichkeit in den frühen 50er Jahren wie kaum ein anderes Thema.
    Die Gründung der Bundeswehr war eine in vielerlei Hinsicht gewaltige Aufgabe, galt es doch, eine in der bundesdeutschen Nachkriegsdemokratie festverankerte Truppe zu schaffen. Nach außen entstand die Bundeswehr nicht als weitgehend unabhängige nationale Streitmacht, sondern als eine Bündnisarmee, die zur Verteidigungsleistung der westlichen Allianz beitrug. Am Ende des Aufstellungsjahrgangs 1956 war die Bundeswehr 66.000 Mann stark, bis 1963 nahm sie danach Jahr für Jahr um etwa 50.000 Mann zu. Ihr erster Verteidigungsminister, Theodor Blank, gab nach Jahren der Vorbereitung, in denen er sich einer Militärreform verschrieben hatte, bereits nach nur 15 Monaten Amtszeit zermürbt sein Amt wieder auf. Er resignierte ganz einfach angesichts der "Aufbaukrise" der Bundeswehr im Sommer und Herbst 1956. Sein Nachfolger wurde am 27. September der agile und robustere Franz- Josef Strauß, dem Konrad Adenauer noch wenige Wochen zuvor mitgeteilt hatte: "Solange ich Kanzler bin, werden Sie nie Verteidigungsminister !"
    Der innere Aufbau der Bundeswehr fand trotz zahlreicher Einzelkonflikte in überraschenden überparteilichen Koalitionen statt. Deren wichtigste parlamentarische Vertreter, Richard Jaeger (CDU) und Fritz Erler (SPD), verbanden die Wehrgesetzgebung der Jahre 1954 bis 1957 mit einer umfassenden Militärreform. Oberstes Prinzip war die zivile Kontrolle sowohl in der Regelung der Befehls- und Kommandogewalt- im Frieden lag sie beim Verteidigungsminister, im Verteidigungsfall beim Bundeskanzler - als auch in den Vollmachten des Bundestags, der hinsichtlich des Militärischen sowohl als Gesetzgeber als auch als Kontroll- und Bewilligungsorgan fungieren sollte, darüber hinaus auch als Entscheidungsorgan darüber, ob und wann der Verteidigungsfall vorlag. In ihrem zweiten Schwerpunkt zielte die neue Wehrgesetzgebung auf die Integration des Militärs in die Gesellschaft: das Ideal eines "Staatsbürgers in Uniform", von Wolf Graf von Baudissin im Amt Blank entworfen, verlangte, die grundrechtlichen Werte auch im militärischen Alltag zu verwirklichen, so jedenfalls in der grauen Theorie. Anfangs lag dagegen allerdings noch vieles im Argen, und viele Generäle rühmten sich sogar, nur eine "Maske" der vielbeschworenen Inneren Führung zu tragen, aber bis in die frühen 70er Jahre konnten sich die reformerischen Kräfte allmählich durchsetzen. Hemmend für die "Staatsbürger in Uniform" wirkte in der Anfangsphase der Bundeswehr nicht zuletzt die Herkunft der Offiziere aus den Reihen der Wehrmacht, so daß ihre Auswahl ein Politikum ersten Ranges darstellte. Im Zeichen der Kontinuität des militärischen Fachwissens wurden sogar bestimmte Führungskreise des Rußlandfeldzuges bevorzugt, denn hier war der alte und der neue Gegner ganz offensichtlich der Gleiche. Doch auch diese Medaille hatte ihre Kehrseite, denn die Fokussierung auf den gemeinsamen Gegner im Osten führte zu einer gewissen "Amerikanisierung" des deutschen Militärs und zu einer Anlehnung an die USA, die ohnen diesen Umstand nicht vorstellbar gewesen wäre und die einen sehr tiefen Bruch mit der deutschen Militärtradition einleitete.

    www.youtube.com/watch?v=NNV3_PFTb0w