Deutsche Schlager
Ob Schallplatte oder Radio, zu Beginn der 60er wurde die Unterhaltungsmusik in Deutschland
vom deutschen Schlager dominiert. Nun kann man über die Qualität, den kulturellen Wert oder den
musikalischen Anspruch deutscher Schlager verschiedener Meinung sein und sich darüber auch lange streiten,
aber wir sind hier in den späten 50ern / frühen 60ern. Jimi Hendrix übte seit einigen Jahren
auf seiner ersten Gitarre, die Beatles warteten darauf entdeckt zu werden, Deep Purple, Led Zeppelin und
andere Rockgruppen waren noch ferne Zukunft und Madonna ging noch nicht einmal zur Schule.
Es gab keine Auswahl aus tausenden Musikstücken vom mp3-Player, kein Youtube und keine Internet-Tauschbörsen.
Im Fernseher, sofern ein solcher überhaupt schon Einzug in den Haushalt gefunden hatte, waren
Musiksendungen so gut wie nicht zu finden. Der einzige Zugang zur Musik war für uns Kinder der damaligen
Zeit die Schallplattensammlung der Eltern und das Mono-Rauschen aus den alten Röhrenradios. Diese
Musik umfasste etwas Klassik, Musicals, Volksmusik und vor allem deutsche Schlager. Der deutsche Schlager
war für die meisten von uns, die Musik mit der wir aufwuchsen, die Musik unserer frühen Kindheit.
Das bestimmente Thema zu dieser Zeit war die Sehnsucht. Sehnsucht nach
der verlorenen Heimat, nach fernen Ländern, nach der Liebe und geliebten Menschen auf die man
immer noch wartete (Heimweh,
Die Zeit kommt wieder, Hohe Tannen, Drei weiße Birken,
Am Tag als der Regen kam
sind nur einge der Titel). Die Menschen waren nach den schwierigen und entbehrungsreichen Nachkriegszeiten auf der Suche nach
Harmonie, Urlaub am Meer, Glück und einer heilen Welt.
Vor allem Seemanslieder hatten zu Beginn der 60er Hochkonjunktur. Trafen diese doch viele Gefühle dieser Generation:
Abschied, Heimweh, verlassen werden, warten, manchmal vergeblich, Rückkehr und Wiedersehen. Gefühle,
die in dieser Zeit nicht nur Seeleute kannten. Freddy (Unter fremden Sternen, La Paloma, Junge, komm bald wieder),
Lale Andersen (Ein Schiff wird kommen), Lolita (Seemann, deine
Heimat ist das Meer, Mein Schiff heißt Heimweh), Die blauen Jungs (Wenn weiße Wolken wandern), Peggy Brown (Denn sie fahren hinaus
auf das Meer) oder Rene Carol (Im Hafen von Adano, Das Schiff deiner Sehnsucht)
feierten mit solchen Schlagern große Erfolge.
Auch ausländische Schlagerstars erziehlten mit deutschen Texten
große Erfolge (Nana Mouskouri, Siw Malmkvist, Connie Francis, Vicky Leandros, Mina, Bill Ramsey,
Peggy March, Gitte, Gus Backus u.a.)
oder sangen ihre Hits auch in
deutsch (Petula Clark mit Downtown,
Cliff Richard mit Rote Lippen soll man küssen oder die Beatles
mit Komm, gib mir deine Hand). Die Spitzenreiter bei den englischsprachigen Interpreten mit deutschen Titel
waren Connie Francis, Petula Clark und Cliff Richard. Allerdings muss man fairerweise erwähnen, dass auch viele der deutschen Schlagerhits
Coverversionen internationaler Stars waren (z.B. Motorbiene von Bennie Quick, Heimweh von Freddy, Ich zähle täglich meine
Sorgen von Peter Alexander oder Mit 17 fängt das Leben erst an von Ivo Robic). Da sich aber englischsprachige Titel damals nur
wenig verkauften und auch selten im Radio zu hören waren, blieben die Originalversionen meist relativ unbekannt.
Auch international war der deutsche Schlager der 60er-Jahre durchaus konkurrenzfähig. So war
etwa Mina mit ihrem Hit Heißer Sand
1962 nicht nur 8 Wochen lang die Nummer 1 in der deutschen Hitparade, dieser deutsche Schlager wurde auch
in andere Sprachen übersetzt und verkaufte sich weltweit über 1 Million mal.
Ein weiterer Millionenhit, der damals international punkten konnte war "Zwei kleine Italiener" von
Cornelia Froboess, Platz 1 der Deutschen Schlager-Festspiele 1962 in Baden-Baden und deutscher
Vertreter beim 7. Grand Prix Eurovision in Luxemburg. Übrigens war dieser Schlager wohl der erste, wenn auch etwas
kitschige, Song über Gastarbeiter in Deutschland mit ihrer Sehnsucht nach ihrem Heimatland. Anfang der 60er schwamm der
deutsche Schlager auf einer Erfolgswelle und Schuld daran war (nicht) nur der
Bossa Nova.
Auf dieser Erfolgswelle schwammen jedoch nicht nur die Schlagerstars auch bekannte Sportler, allen voran
die Fußballstars der Bundesliga wollten damit ihren Verdienst aufbessern. Profis wie heute gab es damals
noch nicht und ihr Einkommen lag weit unter den Gagen in Millionenhöhe heutiger Fußballstars.
Den Reigen singender Kicker eröffnete im Jahre 1965 der Torwart der Münchner Löwen, Petar
Radenkovic, genannt Radi. Sein Schlager
Bin i Radi - bin i König erreichte
immerhin Platz 5 der deutschen Hitparade. Sein Verein, der TSV 1860 München (von dem Schlager beflügelt?)
wurde in der Saison 1965/1966 zum ersten und bis heute einzigen Mal Deutscher Meister. Seine Fußballkollegen vom Münchner Konkurrenzverein,
dem FC Bayern München, wollten da nicht nachstehen und so gesellten sich auch Franz Beckenbauer, Gerd Müller
und Sepp Meier zu den singenden Kickern und viele weitere folgten. Vorgemacht hatten es den Fußballern
die Eiskunstläufer. Manfred Schnelldorfer, Hans-Jürgen Bäumler und Marika Kilius hatten schon vor
Radi Radenkovic mit ihren Schlagern Hitparadenplätze errungen.
Nicht nur neue Musikrichtungen bereicherten die 60er-Jahre sondern auch neue Tänze. Der bekannteste Tanz der 60er ist
zweifelsohne der Twist, der aus den USA zu uns herüberschwappte.
Etwas exotischer war der Tamoure, dessen Ursprünge auf Tahiti und den Cook-Insel liegen. Nach diesem
Tanz benannte sich 1963 die erste deutsche Mädchenband,
die Tahiti Tamoures. Die Leadsängerin dieser Band,
Doris Wegener, wurde später unter dem Namen Manuela eine bekannte Schlagersängerin. Ein weiterer
Modetanz der 60er-Jahre stammte aus dem hohen Norden, aus Finnland, der
Letkis. Er beruhte auf dem finnischen
Volkstanz Jenka.
Mitte der 60er wurden die Zeiten für den deutschen Schlager dann zusehends
rauer. Immer mehr ausländische Stars und Musikgruppen drängten sich mit ihren Originalhits in die
Hitparaden. Die Musikmarkt-Hitparade, die in den 60er-Jahren die Rolle des offiziellen deutschen Chart-Organs
inne hatte, verzeichnete in ihren Jahreshitparaden zu Beginn der 60er nur wenige nicht-deutschsprachige Titel
in den Top-Ten. 1966 waren mit Drafi Deutscher (Marmor, Stein und Eisen
bricht), Freddy (Hundert Mann und ein Befehl)
sowie Udo Jürgens (Siebzehn Jahr, blondes Haar) nur noch drei deutschsprachige Titel in den
Top-Ten und dieser Anteil nahm weiter ab. Amerikanische und englische Stars (Al Martino, Frank Sinatra, Tom Jones, Chris Andrews, The Beatles,
The Rolling Stones usw.) dominierten nun die internationalen Hitparaden in Deutschland. Cover-Versionen englischsprachiger Stars verkauften sich
kaum noch. Vor allem die Jugend wollte ihre Stars original und in der Originalsprache hören. Mit der Beat-, Pop-
und Rockmusik
hatten die Jugendlichen ihre eigene Musik gefunden, verabschiedeten sich von der Musik ihrer Eltern und drängten den deutschen
Schlager in ein Nischendasein.
Musiksendungen der 60er im Fernsehen sind unter "Fernsehen: Musiksendungen" zu finden.
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Abbildung:
1: Schlager-Singles aus den 60ern2: Schlager-LPs aus den 60ern