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    Donnerstag, 28. November 2019, 16:54

    Bewegende Momente der 60er Jahre - Die "Kleine Rezession" von 1966/67

    1967 blieb für mich als damaliger zehnjähriger Pennäler als ein Jahr des Übergangs und der Neuorientierung in Erinnerung. Ende 1966 war meine aktive Grundschulzeit vorbei, und nach einem Übergangshalbjahr kam ich im Spätsommer 1967 auf eine weiterführende Schule mit bis dahin völlig ungewohnten, sehr strammen Leistungsanforderungen.
    Zwei Jahre zuvor hatten mein Vater und seine Brüder auf dem Gipfel der Nachkriegskonjunktur ein Industrieunternehmen gegründet, das 1993 veräußert wurde. Inwieweit diese Firma ebfs. von der "Kleinen Rezession" betroffen war, entzieht sich nach über fünfzig Jahren weitgehend meiner Kenntnis, zumal die meisten der damaligen Zeitzeugen bereits verstorben sind.
    Viele ältere Zeitgenossen erinnern sich noch an die erste wirtschaftliche Rezession der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, die von Historikern später als "Kleine Rezession" betitelt wurde, da sie sehr rasch überwunden werden konnte. Doch nur wenige erinnern sich noch an den damit verbundenen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik.
    In den Jahren 1966/ 67 kam der erste Wachstumseinbruch in der bundesdeutschen Nachkriegskonjunktur zum Tragen, der u.a. zum Sturz des damaligen Bundeskanzlers Ludwig Erhard beitrug. Danach bildete sich eine große Koalition aus CDU und SPD unter dem neuen Bundeskanzler Kurt- Georg Kiesinger. Wirtschaftsminister Prof. Karl Schiller und Finanzminister Franz- Josef Strauß, die bald nach Wilhelm Busch´s ungleichem Hundepaar "Plisch und Plum" benannt wurden, ergriffen die Initiative und vollzogen einen völligen Wechsel der bisherigen Wirtschaftspolitik: weg vom weitgehend "freien Spiel der Kräfte" hin zu einem lenkend eingreifendem Staat. Kaum im Amt, brachten sie im Februar 1967 das erste Konjunkturpaket auf den Weg. Rund 2,5 Milliarden DM sollten in Bahn, Post, Straßenbau und Wissenschaft investiert werden. Schon im September 1967 folgte Konjunkturpaket Nummer zwei über 5,3 Milliarden DM. Für damalige Zeiten waren das enorme Summen, die rund zehn Prozent des seinerzeitigen gesamten Staatshaushaltes entsprachen. Prof. Schiller wollte Konjunkturprogramme dieser Art auch gesetzlich verankert wissen. Im Mai 1967 verabschiedete der Bundestag daher das "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums in der Wirtschaft". In den Leitlinien dieses Gesetzes wurden Bund und Länder verpflichtet, ihre Haushalte der jeweiligen konjunkturellen Situation antizyklisch anzugleichen. Als Ziel staatlicher Wirtschaftspolitik wurde "das magische Viereck" aus Preisstabilität, Vollbeschäftigung, angemessenem Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht definiert. Schiller war überzeugt davon, daß der Staat ausgleichend auf konjunkturelle Zyklen reagieren müsse. Diese keynesianisch- antizyklische Politik benannte er "Globalsteuerung". Diese kurbelt in wirtschaftlichen Schwächephasen durch höhere Staatsausgaben die Wirtschaft an und baut die dadurch entstandenen Staatsschulden in Jahren der Hochkonjunktur wieder ab.
    Schillers Ansätze fanden damals international starke Beachtung, da sie in marktwirtschaftlichen Systemen einen der ersten Feldversuche der Nachjustierung durch staatliche Eingriffe darstellten.
    Tatsächlich wurde die Rezession nach 1967 schnell überwunden. Die Wirtschaft wuchs ab 1968 wieder um sieben bis acht Prozent, auch sank die Arbeitslosenquote nach 1967 von 2,2 % auf 0,8 % im Jahre 1969. Die Löhne stiegen in diesem Zeitrahmen spürbar an, und getreu der Lehre Prof. Schillers verzeichnete der Bundeshaushalt von 1969 bereits wieder Überschüsse.
    Inwieweit Schillers Ansätze und Maßnahmen allein ausschlaggebend für den Erfolg waren, ist bis heute unter Wirtschaftswissenschaftlern umstritten. Einige von ihnen rücken andere Faktoren in den Vordergrund, da die bundesdeutschen Exporte selbst im Krisenjahr 1967 weiter gewachsen seien und somit die Gesamtwirtschaft gestützt hätten. Auch habe die Deutsche Bundesbank unterstützend mit Zinssenkungen eingegriffen, vor allem aber hätten sich in diesem Zeitfenster fast alle Gewerkschaften mit sehr moderaten Lohn- und Gehaltsabschlüssen begnügt. Beide Tarifparteien kooperierten zu diesem Zeitpunkt in der sog. "Konzertierten Aktion", die Prof. Schiller im Februar 1967 ins Leben gerufen hatte.
    Durch die rasche Überwindung der Rezession über konstruktive Maßnahmen der Regierung gewann insbesondere der Koalitionspartner SPD zunehmend an Vertrauen auch in bürgerlichen Kreisen der Bevölkerung, ohne die der Wahlerfolg der Bundestagswahl von 1969 mit der darauffolgenden sozialliberalen Koalition nicht denkbar gewesen wäre. Die dunkle Kehrseite der Medaille war die darauffolgende permanente Erhöhung der Staatsausgaben unter der Regierung Brandt. Auch gaben in den frühen 70er Jahren die Gewerkschaften ihre bisherige Zurückhaltung weitgehend auf und setzten sukzessive massive Lohnerhöhungen durch. Schiller als nunmehriger Finanz- und Wirtschaftsminister ahnte das kommende Unheil und warnte nachdrücklich vor einer "Phase zunehmenden Geldausgebens", wurde jedoch weitgehend ignoriert und warf daraufhin im Jahre 1972 entnervt das Handtuch. In seinem Rücktrittsschreiben an Bundeskanzler Willy Brandt schrieb er: " ...ich bin nicht bereit, weiterhin eine Politik zu unterstützen, die nach dem Motto: Nach uns die Sintflut ! agiert".
    Ab 1973 änderten sich dann mit der ersten Ölkrise die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Bundesrepublik nachhaltig und mündeten in lange Phasen der Stagnation und Rezession.