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    Montag, 25. November 2019, 16:21

    Bewegende Momente der 60er Jahre - Bundespräsident Heinrich Lübke, das vergessene Staatsoberhaupt ?

    Der Historiker Rudolf Morsey hat Heinrich Lübke in seiner umfangreichen Biographie einen "weitgehend vergessenen Präsidenten" genannt. Das stimmt insofern, als bis zu dessen Buch aus dem Jahr 1996 kaum ein Standardwerk zu dem zweiten deutschen Bundespräsidenten nach Theodor Heuss vorlag.
    Und dennoch lebt Lübke im Bewußtsein zumindest von Teilen der älteren bundesdeutschen Bevölkerung fort wie kaum ein Präsident vor oder nach ihm, wenn auch auf eine oft wenig schmeichelhafte Art.
    Man muß nicht unbedingt Zeitzeuge der Jahre 1959 bis 1969 gewesen sein, um von Lübkes legendären Versprechern (die teilweise von den Printmedien frei erfunden wurden) gehört zu haben. Breite Kreise der zeitgenössischen Bevölkerung durften sich über ihn erhaben fühlen, ja man mußte sich die Späße über ihn nicht einmal selbst ausdenken, da er sie angeblich oder tatsächlich ständig frei Haus lieferte. Hieß es nicht immer wieder: "Ja, ja, der Lübke...", z.B. während seines Afrikabesuchs mit "Meine Damen und Herren, liebe Neger !" oder mit "Equal goes it loose..." als die freie Lübke- Übersetzung von "Gleich geht´s los". Besser konnte gelebte Realsatire zu damaligen Zeiten nicht sein. Oder auch bei seinem Japanbesuch das Referieren über "Okasa" statt der Stadt Osaka, wobei ersteres in den 60er Jahren ein Potenzmittel von eher zweifelhaftem Ruf darstellte. Der Spott war unserem Bundespräsidenten gewiß. Bis auf den heutigen Tag haben youtube- Clips, die Lübkes heftigste rhetorische Schnitzer vorführen, hohe Zugriffszahlen.
    Dennoch sollte man es sich mit der Beurteilung des zweiten Bundespräsidenten nicht zu einfach machen. Bei tiefgründigerer Betrachtung kommt man recht schnell zu dem Ergebnis, daß Lübke mit seiner Vorstellung von Pflichterfüllung in seinen späten Jahren vielleicht scheiterte, dies aber sicher nicht allein zu verantworten hatte.
    Heinrich Lübke kam 1894 im sauerländischen Enkhausen als Sohn eines Schuhmachers zur Welt, der nebenberuflich eine kleine Landwirtschaft betrieb, wie dies zu dieser Zeit nicht unüblich war. Er war der zweitjüngste von acht Geschwistern, in der Schule unterstützte ihn der katholische Ordensgeistliche. Sein 1913 in Brilon erworbenes Abitur ließ bei mäßigen Zeugnisnoten zunächst keine besonderen Begabungen erkennen. Lübke begann ein Studium der Geodäsie, Landwirtschaft und Kulturbautechnik an der Landwirtschaftlichen Akademie zu Bonn. Im August 1914 meldete er sich, auch dies nicht unüblich, als Kriegsfreiwilliger an die Front. Lübke erlebte das große Sterben der akademischen Jugend bei Langemarck hautnah mit, erlitt in späteren Jahren eine Gasvergiftung und endete 1918 als Leutnant der Reserve. 1959 berichtete er über diese Jahre, daß er im Kriege gelernt habe, "Verantwortung für das Leben und die Gesundheit anderer zu tragen".
    Nach Kriegsende schloß Lübke sein Studium 1921 als Vermessungs- und Kulturingenieur ab. In den Jahren 1921 bis 1924 studierte er anschließend Nationalökonomie in Münster und Berlin. In den 20er Jahren wurde er darüber hinaus Geschäftsführer des Reichsverbandes landwirtschaftlicher Kleinbetriebe sowie der deutschen Bauernschaft. Lübke wurde zum Fachmann für Agrarfragen, den die Nationalsozialisten nach 1933 aus seinen Ämtern entfernten und für zwanzig Monate in Untersuchungshaft hielten. Dennoch arbeitete er zwischen 1939 und 1945 als Vermessungsingenieur und Bauleiter eines Unternehmens, daß dem Ministerium von Albert Speer unterstand. Diese Tätigkeit während der Kriegsjahre wurde gegen Ende der 60er Jahre von "interessierten Kreisen" zum Anlaß genommen, um Gerüchte hochzukochen und in die Presse zu lancieren. Dies führte letztendlich neben gesundheitlichen Faktoren zur vorzeitigen Aufgabe seines Amtes.
    Heute weiß man, daß die von Lübke unterzeichneten Blaupausen eher der Erstellung von Baracken allgemeiner Art dienten und keinesfalls dem Bau von KZ- Anlagen zuzuordnen waren.
    Aussagekräftigeres findet sich über Heinrich Lübke ab 1953 in seiner Zeit als Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten, ein Amt, das er bereits vorher im neu entstandenen Bundesland Nordrhein- Westfalen bekleidet hatte. Seine damaligen Mitarbeiter beschrieben ihn als tüchtigen Experten, gründlich, gewissenhaft und korrekt, jedoch ohne jegliche rhetorische Begabung. So neigte Lübke dazu, bei Vorträgen mit einer regelrechten Datenflut aufzuwarten und auch gelegentlich vom Redemanuskript abzuweichen, was mit schöner Regelmäßigkeit in einer rhetorischen Katastrophe endete.
    Mit Adenauer arbeitete Lübke weitgehend reibungslos zusammen, ohne daß die beiden sonderliche Sympathien füreinander entwickelt hätten.
    Im Jahre 1959 hatte sich Bundeskanzler Adenauer zunächst selbst für das Amt des Bundespräsidenten ins Gespräch bringen wollen, nahm jedoch schnell wieder davon Abstand, nachdem ihm klar wurde, wie politisch einflußlos er in diesem vorwiegend repräsentativem Amt sein würde.
    Stattdessen wurde Heinrich Lübke am 1. Juli 1959 im zweiten Wahlgang in das Amt des Bundespräsidenten gewählt. Der "Neue" präsentierte sich zeitgemäß als stramm antikommunistisch und verweigerte wie die meisten Funktionsträger seiner Generation strikt die Anerkennung der Oder- Neiße Grenze. Stattdessen verlagerte er einen Schwerpunkt seiner Tätigkeiten auf die bisher wenig beachtete Entwicklungshilfe. Lübke glaubte sogar, auf diese Weise den Ost- West Konflikt beenden zu können, indem sich der Westen als die bessere, wirtschaftlich leistungsfähigere Alternative präsentierte. So bereiste er u.a. Afrika, war dabei gezwungen, Englisch zu sprechen, was einigermaßen danebenging, und wurde den Habitus des reichen weißen Onkels, der den Schwarzen einige milde Gaben zukommen ließ, nie ganz los.
    Nicht nur bei seinen Auslandsreisen wurden in den 60er Jahren Lübkes rhetorische Defizite immer offensichtlicher. Der Bundespräsident redete mit über eintausend Vorträgen und Grußworten während seiner Amtszeit entschieden zu viel, jedoch wurden ihm viele seiner rhetorischen Patzer, so auch die "lieben Neger", oft einfach frei erfunden von "Spiegel"- Redakteuren in den Mund gelegt und veröffentlicht. Kein besonderes Ruhmesblatt in der Geschichte des "Sturmgeschützes der Demokratie", wie sich heute in der Rückschau feststellen läßt.
    Lübkes Wiederwahl im Jahre 1964 war eigentlich kaum noch zu verantworten, zumal die Durchblutungsstörungen seines Gehirns, die auf Arterienverkalkung beruhten, rasch voranschritten. Daß er 1966 als wohl "einziger Deutscher" beim Finale der Fußball- WM im Londoner Wembley- Stadion beim dritten Tor der Engländer den Ball als "zweifelsfrei drin" sah, verübelten ihm große Teile der deutschen Fußballnation nachhaltig.
    Am Ende seiner Präsidentschaft war Heinrich Lübke bereits ein schwerkranker Mann. Nach seiner vorzeitigen Außerdienststellung 1969 ignorierten ihn seine ehemaligen Parteifreunde weitestgehend. Lübke starb wenige Jahre nach seinem Amtsverzicht im Jahre 1972 an einem Krebsleiden.
    Offen bleibt die Frage, ob Heinrich Lübke tatsächlich als Nachfolger von Theodor Heuss, der in den 50er Jahren als "Papa Heuss" bei Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung große Beliebtheit erlangt hatte, der geignete Kandidat oder doch eher eine politische Verlegenheitslösung war, die zumindest teilweise ins Desaster führte: www.youtube.com/watch?v=t2cNS4wZTK4