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    Donnerstag, 18. Oktober 2018, 16:21

    Briefmarken am Bankschalter oder: Die unglaubliche Geschichte des Hartmut C. Schwenn

    Die 60er Jahre waren, aus der Rückschau betrachtet, das goldene Jahrzehnt der deutschen Nachkriegsphilatelie. In keiner anderen Dekade wurde das Sammeln von Briefmarken derart zum "Volkssport" wie in diesem Zeitraum. Hinzu kamen teils exorbitante Preissteigerungen für die gezähnten Kleinodien aus Papier, die zahlreiche Kapitalanleger, Spekulanten und auch einige Glücksritter anlockte.
    Zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten dieser Jahre gehörte auch ein gewisser Hartmut C. Schwenn, der, ursprünglich aus dem Ostharz kommend, zu einem "Shooting Star" insbesondere der späten 60er Jahre wurde und der die bis dahin als eher bieder geltende Briefmarkenbranche gehörig aufmischte.
    Bereits 1970 gab er jedoch gezwungenermaßen seine Frankfurter Abschiedsparty, bevor er sich in die Schweiz nach Lugano absetzte. Während er ein Jahr zuvor noch geprahlt hatte, durch seine intensive Werbung "die ganze Branche hochgehalten und ihr ein neues Korsett verpaßt zu haben", hieß es nun resignierend aus seinem Munde: "Die ganze Branche ist morsch".
    Schwenn betätigte sich u.a. als Briefmarken- Auktionator, nachdem er die alteingesessene Versteigerungsfirma Heinrich Köhler aufgekauft hatte, und verauktionierte in insgesamt acht Versteigerungen Sammlerobjekte für insgesamt achtundzwanzig Millionen DM. Die graue Eminenz im Hintergrund des Schwenn- Imperiums war K.-F. Meyer- Beer, der als finanzstarker Kreditvermittler für ehrgeizige, aber finanzschwache Briefmarkenhändler sein Geld machte. "Karl der Große", wie er von Berufskollegen bewundernd- spöttisch genannt wurde, wirkte u.a. an den Tessiner Finanzmaklerfirmen Philacredit und Teliane mit, die gegen Zinsen und Provisionen von bis zu zwanzig Prozent Darlehen an klamme Geschäftsleute vermittelten. Außerdem wurden die Kreditsummen oft nur zu ca. 80 % ausgezahlt, so daß sich für die Kreditvermittler und -geber äußerst lukrative Margen ergaben.
    Auch Hartmut Caspar Schwenn wurde nach einigen geschäftlichen Mißerfolgen, v.a. durch sein völlig überdimensioniertes Briefmarken- Versandhaus "Mauritius", letztendlich finanztechnisch von Meyer- Beer in die Zange genommen. Er bekam selbst zu höchsten zweistelligen Zinsen keine Anschlußkredite mehr und mußte sein Imperium, bestehend aus sieben Firmen und einer Holding in Zürich, letztendlich abstoßen. Schwenn über Meyer- Beer: "Seine Pokerspiele und Zinswuchereien standen mir bis zum Hals. Er arbeitete ständig mit neuen Tricks".
    Schwenn selbst betätigte sich vor seiner Flucht 1963 in die Bundesrepublik bereits im Arbeiter- und Bauernstaat DDR als durchaus erfolgreicher, "inoffizieller" Briefmarkenhändler, dem es gelang, Briefmarken im Verkaufswert von rund 50.000,- DM in den Westen zu transferieren, eine Summe, die dann zunächst sein unternehmerisches Startkapital in der Bundesrepublik bildete. Seit 1964 zog Schwenn mit Hilfe von Meyer- Beer in Frankfurt und Zürich Auktionsunternehmen auf, deren Umsätze in Europa unübertroffen waren. Schwenn mischte die Branche dabei gehörig auf. Ihm gelang dies mit einem bis dahin in diesem Gewerbe nicht gekanntem Werbeaufwand von ca. 10 % seiner Bruttoumsätze; hochbezahlten Fachleuten, die Schwenn frech von der konservativen Konkurrenz abwarb, und auch mit nicht immer ganz feinen, aber in der Branche durchaus nicht unüblichen Tricks. So wurde in einer der Schwenn- Auktionen der für damalige Zeiten
    sensationelle Preis von 620.000,- DM für einen Originalbogen der "Sachsendreier" von 1850 erzielt, ein Preis, der letztlich durch einen von Schwenn beauftragten Strohmann erzielt wurde, nachdem der amerikanische Höchstbieter kurzfristig abgesprungen war.
    Um auf jeder seiner Auktionen sensationelle Objekte präsentieren zu können, erwarb Schwenn durch weltweite Einkäufe große Sammlungen und Tausende von philatelistischen Kostbarkeiten. Bei der Finanzierung half wie immer Meyer- Beer, der als Bevollmächtigter der "Philacredit" insgesamt über acht Millionen DM in Schwenns Geschäfte einbrachte.
    Schwenn expandierte scheinbar unaufhaltsam, kaufte, wie bereits erwähnt, das älteste deutsche Briefmarkenauktionshaus Heinrich Köhler und legte sich eine Millionenvilla am Staffelsee zu, die zuvor der Kammersängerin Erna Sack gehört hatte. Außerdem investierte er Millionen in das Versandhaus "Mauritius", das in großem Stil Sammler- Zubehör sowie Briefmarken und Münzen in üppigen Angebotskatalogen offerierte.
    Da der umfangreiche Lagerbestand jedoch große Kapitalsummen band, überhob sich der "Josef Neckermann der Philatelie" erstmalig und realisierte in zweieinhalb Jahren über vier Millionen DM Verlust allein mit dieser Firma.
    Noch desaströser endete Schwenns vom Grundkonzept durchaus interessante und innovative Aktion "Briefmarken am Bankschalter". Der ambitionierte Kaufmann hatte für rund fünfzehn Millionen DM viele postfrische Spitzenwerte der Sammelgebiete Bund/ Berlin (Glocke I, Berliner Gesächtniskirche, Lortzing, ERP etc.) systematisch aufgekauft und ließ aus diesem Fundus attraktiv verpackte "Investmentpakete" herstellen, die je nach Inhalt für 500,- bis 10.000,- DM an Bankschaltern angepriesen werden sollten. Schwenn versprach potentiellen Investoren, daß sie die Wertpakete innerhalb von zwei Jahren an ihn zurückgeben könnten, falls sie nicht die erwartete Wertsteigerung von jährlich bis zu 15 % im freien Verkauf erzielen würden. Zugesichert wurde darüber hinaus noch eine Garantieverzinsung von 6 % p.a. seitens des Emittenten.
    Den vorläufigen Todesstoß versetzte diesem Konstrukt ein gewisser Peter Merseburger in seiner ARD- Sendung "Monitor" vom 29.12.1969, als er ein 500,- DM- Wertpaket Händlern zur Begutachtung überreichte, die die teils unkompletten Sätze bemängelten und als realistischen Schätzwert eine Summe zwischen 300,- und 350,- DM benannten. Auch wurde der gebotene Garantiezins von 6 % ab Anfang 1970 zunehmend unattraktiv, da zu dieser Zeit das allgemeine Zinsniveau deutlich anstieg. Nachdem einige Privatbanken 1969/70 Schwenn- Pakete für lediglich 1,5 Millionen DM abgesetzt hatten, stellten sie ab Februar 1970 den Verkauf aufgrund der zunehmend kritischeren Presseberichterstattung weitgehend ein. Ungeöffnete Schwenn- Pakete finden sich auch nach knapp fünfzig Jahren immer wieder einmal auf diversen Auktionsplattformen und sind nicht zuletzt aufgrund ihrer attraktiven äußeren Gestaltung für philateliehistorisch Interessierte von Interesse.
    Seinen Geldgebern hatte Schwenn Briefmarken im Handelswert von über zwanzig Millionen DM als Sicherheiten in die Tresore legen müssen, darunter auch einigen renommierten Kreditinstituten wie der Frankfurter Bank oder der Hamburger Sparcasse von 1927.
    Letztendlich mußte der zu schnell zu groß geworden Star der Briefmarkenszene dem Druck seiner Gläubiger nachgeben und seine Firmengruppe gegen eine einmalige Abfindung von 1,5 Millionen DM an Meyer- Beer und die Kreditgeber abtreten. Somit endete die unglaubliche Geschichte von Hartmut C. Schwenn, der trotz allem relativ weich gefallen ist und sich in späteren Jahren noch als Immobilienmakler in Lugano versucht haben soll.

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    Freitag, 19. Oktober 2018, 16:54

    Aktueller Wert von Schwenn- Paketen

    Aufgrund einer Anfrage sei noch kurz der aktuelle Wert der Schwenn- Wertpakete anhand einer 500,- DM- Einheit dargestellt. Die darin enthaltenen postfrischen "Spitzen" von Bund/ Berlin postfrisch würden heute einen ebay- Erlös von 80,- bis 100,- Euro einspielen. Insofern wäre eine Langfristanlage dieser Pakete ein absolutes Verlustgeschäft geworden. Der langfristige Wertverfall der frühen Jahrgänge von Bund/ Berlin war 1969 jedoch noch nicht abzusehen. Bis ca. 1980/ 81 galten diese Werte als "sichere Bank" und stiegen zu dieser Zeit in ungeahnte Höhen, bis sich in den Jahrzehnten danach ein zunehmender Preisverfall etablierte, der auch den legendären "Posthornsatz" als Schlüsselposition jeder postfrischen Bund- Sammlung nicht verschont hat.
    Derzeit wird auf ebay ein 500,- DM Wertpaket von Schwenn mit Originalversiegelung und allen Papieren für 349,- Euro angeboten. Das ist natürlich ein ausgesprochener Liebhaberpreis und nur für Interessenten kaufenswert, die von der dahinterstehenden Geschichte fasziniert sind. Dies gibt der Anbieter auch unumwunden zu.