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    Freitag, 19. März 2021, 10:04

    Lehrer der 60er

    @Chrissie777: Da war ich dir wohl sehr ähnlich. Mathe war mein absolutes Killerfach. Algebra packte ich gerade noch, doch dann kam die fürchterliche Geometrie mit den Konstruktionsbeschreibungen, die uns abverlangt wurden. Heute, mit Abstand und eigener pädagogischer Erfahrung ( habe eine Zeit lang fürs Lehrfach studiert) behaupte ich, dass diese Lehrer nur auf reiner Wissensvermittlung geeicht waren. Über eine flexible und kindgerechte Methodik dachte nur selten einer nach. Die Mathe- und Physiklehrer jedenfalls nicht. Ein mir besonders im Gedächtnis gebliebener Physiklehrer richtete seine Zeugniszensur einzig und allein nach drei Fragen aus, die er zum Ende eines Halbjahres jedem Schüler stellte. Wusste man nur eine nicht, bekam man eine 5. Auch Proteste meiner Eltern bewirkten nichts, die Seilschaft mit dem Direktor des Gym. funktionierte.
    Das Dyskalkulie bei mir nicht vorlag bewies eine halbjährige Nachhilfe durch einen Mathe-Studenten. Ihm gelang es, mir den Sinn der Binomischen Formeln, Euklid und Pythagoras näher zu bringen. Zwar konnte er keine Begeisterung entfachen, aber ich schaffte mehrere Klassenarbeiten mit gutem Resultat, zur großen Verwunderung des Lehrers.
    Ja, auch ich hätte mir gewünscht, in der Oberstufe einige Fächer abwählen zu können. Meine Stärken - oder sagen wir lieber Interessen - lagen bei den Sprachen.
    Deutsch, Englisch, später noch Latein, das ging mir leicht von der Hand und ins Hirn; Biologie, Geographie und Geschichte lief so nebenher. Das lag aber auch an der starren und trockenen Unterrichtsweise. Denn später, im Studium belegte ich neben Deutsch Geschichte und Religion als Schwerpunktfächer. Aber da suchte ich mir die Themen und Dozenten auch selber aus!
    Nun noch zur Fronleichnamsprozession, der sogenannten Gottestracht, auf dem Rhein. Die Teilnahme war als schulische Aktion verpflichtend, und wir hatten uns pünktlich zu bestimmter Zeit am Steg zu unserem Schiff einzufinden. Hört sich ja ganz nett an, eine Schifffahrt auf dem Rhein, fast eine Klassenfahrt. Von wegen, man hatte sich klassenweise aufzustellen, wurde dann zum markierten Areal mit Blick auf den installierten Altar geführt, und hatte da stehend zu verweilen. Zwei Stunden monotoner Gebete und Gesänge erwarteten uns, immer unter dem strengen Blick des besagten Katechismuslehrers. Zwei Jahre lang, ich muß da 13 und 14 Jahre alt gewesen sein, machte ich die Aktion brav mit. Im dritten Jahr seilten wir uns nach dem anfänglichen Kirchgang auf dem Weg zum Schiff in eine Nebenstrasse ab und genossen die Buden einer Kirmes, die den vergnüglichen Teil des Festes darstellte. Natürlich war unser Fehlen festgestellt worden, aber außer dem Eintrag im Zeugnis hatte es keine Folgen.

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    Mittwoch, 24. März 2021, 16:04

    Algebra

    Mein schulischer Werdegang hatte im genau falschen Moment einen Knick bekommen. Im Alter von 10 Jahren zog ich mir bei einem Straßenkick einen Bruch zu. Ein leichter Tritt hatte genügt, mit das Schienbein zu brechen. Am nächsten Tag wurde auf dem Röntgenbild klar, warum das so leicht war, ein Tumor hatte den Knochen "angefressen" und der Stabilität beraubt. In diesem Alter war mir noch nicht klar, was das hätte bedeuten können. Es stellte sich, sehr zur Erleichterung meiner Eltern, heraus, dass der Tumor gutartig war, obschon er unbehandelt früher oder später zu einer Amputation geführt hätte. Ich verbrachte also zig Wochen im Krankenhaus, wurde irgendwann nach Hause entlassen mit einem sog. "Liegegips" und war dadurch nicht in der Lage, am Unterricht teilzunehmen. Irgendwann muss ich meiner Mutter so auf die Nerven gegangen sein, dass sie mich morgens auf einen Handwagen gepackt und in die Schule gekarrt hat. Die wenigen Wochen bis zu den Ferien haben den Lehrern nicht genügt, um mir ein Zeugnis auszustellen. Aufgrund meiner guten Leistungen und der Tatsache, dass ich gleich wieder anknüpfen konnten, wurde ich also in die fünfte Klasse versetzt. Ansonsten hätte ich die Klasse wiederholen müssen (was heute ja nun kein Problem mehr ist) und das wurde seinerzeit als Schmach empfunden. Also ging mein Weg über die sog. "Handelsschule", die rein kaufmännisch ausgerichtet war. Dort traf ich völlig unvorbereitet auf dieses seltsame Fach "Algebra", unterrichtet von einem steinalten Lehrer namens "Steiner" (genannt "Steiner der hats eisern im Kreuz") , der seltsame Buchstaben auf die Tafel schrieb, ohne jegliche Erklärung dazu noch mitteilte, was an Hausaufgaben zu machen war, und ansonsten lieber seinem Lieblingsfach "Steno" frönte. Ich habe am Ende absolut NICHTS begriffen. Als Systementwickler, Jahrzehnte später, hab ich das Eine oder Andere tatsächlich gebraucht, allerdings hatte ich mir das selbst beigebracht.

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    Donnerstag, 25. März 2021, 09:59

    Schülerleben

    Wenn ich zurückschaue fällt mir auf, wie sehr wir damals, zu Beginn der 60er, noch im Untertanengeist aufwuchsen. Erwachsenen erwiesen wir Respekt, Lehrern und Eltern gehorchten wir bedingungslos. Doch allmählich bekam die Kruste der braven Kinder Risse. Ein Bemühen um Nonkonformismus setzte - noch unbewusst - ein. So trotzten wir im kalten Winter mit Nyltest-Hemden dem Wetter, warfen kleine Taschenmesser in die Luft und hielten die Handrücken darunter. Zwei kleine Narben sind mir zwischen den Fingern geblieben.

    Wir verabredeten Übelkeitsanfälle, die während des Unterrichts auftreten sollten. Die Schulvorschrift bestimmte, dass in diesen Fällen der Erkrankte von einem Mitschüler sicherheitshalber nach Hause begleitet werden mußte. Wohin man natürlich nicht ging.

    Ein mir besonders verhasster Mathelehrer fragte zu Beginn seiner Stunde das grosse Einmaleins ab. Er nannte das Lockerung der Gehirnzellen. Bei mir verkrampfte sich da eher alles. Er schoss die Fragen: 13x17 , 14x19 , etc. auf uns Schüler ab, während er durch die Sitzreihen stolzierte. Konnte man nicht antworten, musste man zur nächsten Stunde die gesamten Reihen von 10x11 bis 19x19 ein- oder zweimal als "Übungsaufgabe" schreiben. Da dies extrem häufig vorkam, hatte ich mit einem Leidensgenossen ein Geschäftsmodell entwickelt. Wir schrieben in unserer Freizeit diese Einmaleins.Reihen auf Vorrat und verkauften sie für 20 Pfennig die Seite, 50 Pfennig für 3 Seiten. Das war der Gegenwert für etliche Comics oder Romanhefte.
    Lange Haare bei den Schülern war Chefsache. Im Treppenhaus des Gymnasiums brüllte der Direx einen Abiturienten an, am nächsten Tag mit geschnittenen Haaren zu erscheinen.

    Völlig harmlos war unser Kunstlehrer, der uns so oft von seinen Reisen in die Südsee erzählte. Gern führte er uns bei gutem Wetter an den nahegelegenen Rhein, wo wir uns am Ufer zerstreuten, um individuelle Perspektiven fürs Zeichnen zu erhalten. Der bald einsetzende Schwund seiner Schülerschaft schien ihm nicht aufzufallen oder er übersah es einfach.
    Da einige meiner unauffälligeren Mitschüler aus der gleichen Wohngegend wie ich kamen und anscheinend von den böseren Klassenkameraden daheim erzählten, drang einiges von meinem Schulverhalten von deren Eltern zu meinen. So erfuhren sie, dass ich rauchte, dass ich schwänzte auf Teufel komm raus, dass ich bei den Mädchen am Wiener Platz und im Stadtpark herumhing. Das brachte mir einen Tag eine demütigende Schulbegleitung durch meine Mutter ein. Die hatte ja Zeit! Es blieb bei dem einen Tag, da ich mich bei einer Fortsetzung der Aufsicht weigerte, überhaupt die Schule zu besuchen. Da konnte mich auch der Kochlöffel des Vaters nicht von abbringen.

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    Donnerstag, 25. März 2021, 18:01

    Schülerleben und Pruegel

    Wir hatten auch einen reizenden Kunstlerhrer, Herr Nanko.
    Seine Frau holte ihn jeden Tag mittags ab (oh, die gesegneten 60er Jahre, als Frauen noch nicht dazu gezwungen waren, berufstaetig zu sein...) und die Beiden gingen haendchenhaltend nach Hause, was uns Schuelerinnen natuerlich gut gefiel, denn wer wuenscht sich das nicht?
    Ich lese derzeit zum 3. Mal das Buch von Ingrid Mueller-Muench (Die verpruegelte Generation).
    Leider ist das auch schon das einzige Buch zum Thema Baby Boomer und Pruegel. Vielleicht kann ich mein Trauma damit verarbeiten, denn Kriegsenkelforen (online) gibt es leider IMMER NOCH nicht.
    Selbst heute noch verfolgt mich das ewige Verpruegeltwerden meiner Kindheit und Jugend (zwischen 1962 und 1974).

    Egal, wie sehr ich versuche, es zu verdraengen, es laesst sich einfach nicht verdraengen.
    Mein Vater schlug mich noch mit 19 Jahren im Sommer 1974 (ich versuchte zwar vor dem Jugendgericht einen Vormund zu bekommen, aber die Richterin liess sich von meinem mir verbal ueberlegenen Vater ueberzeugen, dass ich keinen Vormund brauche, und so wurde zu Hause munter weiter gepruegelt, bis zum Glueck das Gesetz fuer die Volljaehrigkeit von 21 Jahren auf 18 Jahre herabgesetzt wurde, und zwar zum 1.1.75).
    In Muller-Muench's Buch wird erwaehnt, dass die meisten Eltern mit dem Pruegeln aufhoerten, wenn der Sohn oder die Tochter 14 oder 15 Jahre alt waren.
    Da das bei meinen Eltern nicht der Fall war, besuchte ich mit 17 Jahren einen Selbstverteidigungskurs bei der Braunschweiger Polizei, es waren mehrere Unterrichtsabende. Es funktionierte gut bei meiner Mutter. Als die naechste Ohrfeige verabreicht werden sollte, schoss mein Unterarm hoch und ihre Hand schlug sich empfindlich daran - sie wagte es nie wieder, mich zu ohrfeigen.
    Leider reichten die rudimentaeren Selbstverteidigungskuenste bei meinem Vater nicht aus, der war viel staerker als ich.
    Die hatte ja Zeit! Es blieb bei dem einen Tag, da ich mich bei einer Fortsetzung der Aufsicht weigerte, überhaupt die Schule zu besuchen. Da konnte mich auch der Kochlöffel des Vaters nicht von abbringen.